Nein, Fettfutter ist im Sommer sogar noch wichtiger als im Winter.
Fett als Energielieferant
Die Masse an Insekten ist in den letzten Jahren dramatisch gesunken 1. Die Strecke, die Vögel zurücklegen müssen um noch Insekten zu finden, erhöht sich mit der Abnahme des Insektenvorkommens. Die Grundversorgung der Vögel ist also nur noch mit einem erhöhten Energieaufkommen zu bewältigen. Um diesen erhöhten Energiebedarf zu decken, steuern die Elternvögel oft Futterstationen an und fressen dort vor allem Fettfutter, um weiterhin die notwendige Flugenergie für die kräftezerrende Jungvogelaufzucht aufbringen zu können. Fettfutter dient dabei in erste Linie der Energiezufuhr, da es mehr Energie liefert als Proteine 2. Auch wenn andere Futtermittel an den Futterstellen zur Verfügung stehen, ist der Bedarf und Verbrauch an Fettfutter im Sommer um ein Vielfaches höher.
Verdauungsprobleme bei Jungvögeln?
Ein häufiges Argument im Sommer kein Fettfutter anzubieten ist, dass Jungvögel kein Fettfutter verdauen können. Dabei stellt sich diese Frage gar nicht und greift auch viel zu kurz. Frisch geschlüpfte Vogelbabys (Nestlinge) werden von ihren Eltern fast ausschließlich mit proteinreichen Lebendfutter, also lebenden Insekten, gefüttert. Erst wenn in der Umgebung kaum noch Insekten zu finden sind, die Brut also unmittelbar vom Hungertod bedroht ist, bringen Elternvögel ihren Vogelbabys auch Futter von Futterstationen um deren Überleben zu sichern. Problematisch ist dann nicht, dass Fettfutter angeboten wird, sondern, dass der Proteinbedarf der Nestlinge nicht mehr gedeckt werden kann. Das bedeutet, dass im Frühjahr und Sommer natürlich unbedingt Fettfutter für die Elternvögel angeboten werden sollte. In Insekten-schwachen Monaten sollten aber nach Möglichkeit auch lebende Insekten am Futterplatz angeboten werden, um der Brut das Überleben zu sichern. Gut geeignet sind lebende Mehlwürmer aus der Zoohandlung.
Empfehlung langjähriger Ornithologen
Prof. Dr. Peter Berthold, langjähriger Ornithologe und Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell: „Das ganze Sommerhalbjahr über beliebt als günstige Energielieferanten für die mit der Brut stark in Anspruch genommenen Elternvögel, bleiben Meisenknödel sowie Erdnüsse. Beide sollte man in ausreichenden Mengen vorrätig halten […]. Häufig sind Fettfuttermischungen auch im Sommerhalbjahr die bevorzugte Lieblingsspeise. […] Als Leitsatz gilt: Sommer- und Winterfutter sind weitgehend identisch, auch im Sommer sollte viel Fett angeboten werden […].“ 3 4
Prof. Dr. Martin Kraft, langjähriger Ornithologe und Privatdozent für Ornithologie an der Philipps-Universität in Marburg: „Bei meinen gesamten Forschungen über die Auswirkung ganzjährig verabreichten Futters konnte ich keinen negativen Einfluss oder gar Verdauungsprobleme bei den Jungvögeln feststellen. […] Lassen Sie sich also nicht von den stereotypen Behauptungen mancher „Ornithologen“ in den Medien, dass Zusatzfutter von Jungvögeln nicht verdaut würde, abhalten, weiterhin Vögel zu füttern. Sie werden sehen, dass alles in Ordnung ist, wenn sie das richtige Futter verabreichen“. 5
Richtige Lagerung
Fetthaltiges Futter, wie z.B. Meisenknödeln, werden bei starker Hitze ranzig. Meisenknödel, die sehr lange in der Wärme liegen, beginnen dann unangenehm zu riechen und werden auch von den Vögeln nicht mehr verzehrt 6. Beginnt man also gerade erst mit der Fütterung und weiß noch nicht, wie hoch der Verbrauch in den nächsten Wochen sein wird, sollte man je nach Bedarf öfter frisches Fettfutter kaufen und lange Lagerung in warmen Räumen vermeiden.
Eigene Erfahrungen
Ich, sowie tausende Zuschauer, konnten bereits in den vergangenen Jahren immer wieder in den NatureTec Nistkasten-Livestreams beobachten, dass Nestlingen fast ausschließlich proteinreiche lebende Insekten von ihren Elternvögeln gefüttert wurde. Trotz der direkten Nähe zur Futterstation, an der Fettfutter angeboten wird, sahen wir die Elternvögel nach Insekten suchen. Wenn die Fütterungs-Besuche der Elternvögel im Nistkästen seltener wurden und der Eindruck entstand, dass Insektenmangel herrschen könnte, habe ich lebende Mehlwürmer in der Nähe des Nistkastens positioniert. Anschließend konnten wir beobachten, dass die Elternvögel die Schale mit den lebenden Mehlwürmern immer wieder anflogen und ihre Jungen damit fütterten – alle Jungvögel überlebten 7.
Quellen:
1 – Insektensterben (Wikipedia)
2 – Energiegehalt (Deutsche Gesellschaft für Ernährung)
3 – Buch „Vögel füttern – aber richtig“ (Prof. Dr. Peter Berthold, 4. Auflage, Seite 83-84)
4 – Ganzjährig Vogelfutter für Wildvögel? Tipps von Prof. Dr. Berthold (YouTube: Vogeltreff24.de)
5 – Verdauung – Ist Fettfutter gefährlich für Jungvögel? (Vivara)
6 – Wintervögel richtig füttern: Was Sie beachten müssen (OM-Online.de)
7 – Fledging of the Great Tits Gabi & Jack’s (YouTube: NatureTec)
Foto:
Capri23auto (pixabay.com)